Die geldpolitischen Sitzungen, die die Europäische Zentralbank (EZB) im Juli abhält, verlaufen für gewöhnlich ereignislos, und dieses Jahr bildete da keine Ausnahme. Der Europäische Rat beließ den Leitzins seiner Einlagefazilität unverändert bei 3,75 Prozent und gab kaum Hinweise zur künftigen Geldpolitik. Wie Präsidentin Christine Lagarde in ihrer jüngsten Rede in Sintra bekannt gab, versetze der solide Arbeitsmarkt die Notenbanker in die Lage, sich bei der Beschaffung neuer Informationen Zeit zu lassen. Die EZB hat also keine Eile, ihre Zinsen weiter zu senken, und wird diesbezügliche Entscheidungen auch weiterhin von Sitzung zu Sitzung treffen, wobei das Zahlenwerk der kommenden Monate ausschlaggebend dafür sein wird, mit welchem Tempo die restriktive Geldpolitik weiter gelockert wird.

Mit Blick auf ihre Reaktionsfunktion (im Rahmen derer Entscheidungen auf Basis des Inflationsausblicks, der zugrunde liegenden Inflationsdynamik und der geldpolitischen Transmission getroffen werden) ist davon auszugehen, dass die EZB auf ihren Prognosesitzungen weiter an der Zinsschraube dreht, weswegen wir mit dem nächsten Zinsschritt im September rechnen.

Der Markt preist für das laufende Jahr derzeit weitere 45 Basispunkte an Zinssenkungen ein, was im Großen und Ganzen mit unserem seit Langem vertretenen Basisszenario von drei Zinsentscheidungen im Jahresverlauf übereinstimmt. Zugleich deutet der endgültige Zins von rund 2,5 Prozent – der deutlich über den Schätzungen für den neutralen Leitzins im Euroraum liegt – darauf hin, dass die Anleger um eine höhere Inflation auf der „letzten Meile“ besorgt sind.

Folglich veranlassen uns die aktuellen Bewertungen dazu, in der europäischen Duration weitgehend neutral zu bleiben. Wir rechnen auch weiterhin damit, dass sich die Zinssätze in einer engen Bandbreite bewegen, und ziehen es vor, beim Eingehen von Durationsrisiken taktisch zu bleiben. Was unsere Einschätzung der Zinskurve betrifft, bevorzugen wir derzeit einen eher strukturellen Ansatz. Aus unserer Sicht dürfte sich das lange Ende der Zinskurven schlechter entwickeln als kürzere Laufzeiten, da die kurzfristigen Zinssätze im Zuge der Leitzinssenkungen in die Knie gehen und die Laufzeitprämien Schritt für Schritt zurückkehren sollten.

Das Problem: Die mangelnde Übereinstimmung von Lohnwachstum und Inflationsziel

Ungeachtet des rückläufigen BIP-Wachstums ging es bei der Beschäftigung in der Eurozone aufwärts: Im Vergleich zum Jahresende 2022 stehen derzeit 2,6 Millionen Menschen mehr in Lohn und Brot, und die Arbeitslosenquote rangiert auf einem historischen Tief von 6,4 Prozent. In der Robustheit des Arbeitsmarkts spiegelt sich eine Mischung unterschiedlicher Schocks wider, von denen der Währungsraum erschüttert wurde. Der Arbeitskräftemangel hat die Unternehmen dazu veranlasst, Arbeitskräfte zu „horten“, worin sie durch die höheren Gewinne und die niedrigeren Reallöhne unterstützt wurden.

Die wichtigste Voraussetzung dafür, dass sich die Inflation gemäß den Erwartungen der Notenbanker entwickelt und im Jahr 2025 nachhaltig in Richtung der Zielmarke tendiert, ist das Wachstum der Lohnstückkosten – dieses muss auf ein Niveau zurückkehren, das mit einer Inflationsrate von zwei Prozent weitgehend vereinbar ist.

Allerdings ist das Lohnwachstum wegen des fortlaufenden Lohnausgleichs für den jüngsten Inflationsschub weiterhin erhöht: Im ersten Quartal 2024 stiegen die Tariflöhne auf 4,7 Prozent – womit sie um 0,2 Prozentpunkte höher sind als im Schlussquartal 2023 –, obschon dieser stärkere Anstieg auch auf sehr hohe Einmalzahlungen im deutschen öffentlichen Dienst zurückzuführen war. Wie zukunftsgerichtete Lohnindikatoren und Umfragen der EZB signalisieren, sollte die kräftige Lohndynamik im weiteren Jahresverlauf anhalten, sich 2025 aber abschwächen.

Den makroökonomischen Prognosen des Eurosystems vom Juni 2024 zufolge soll die Wachstumsrate des Arbeitnehmerentgelts je Arbeitnehmer von 5,2 Prozent im Jahr 2023 auf 4,8 Prozent im Jahr 2024, 3,5 Prozent im Jahr 2025 und 3,2 Prozent im Jahr 2026 zurückgehen. Die derzeitige Teuerungsrate von 4,1 Prozent im Dienstleistungssektor, die auf das starke Lohnwachstum zurückzuführen ist, dürfte mit ziemlicher Sicherheit noch länger eine restriktive Geldpolitik erfordern.

Alles in allem rechnet die EZB damit, dass die Inflation im Jahr 2024 maßgeblich durch das Lohnwachstum angetrieben wird, auch wenn der Nettoeffekt der steigenden Lohnkosten auf die Preise durch einen geringeren Beitrag der Gewinne abgefedert wird. Ferner halten die Zinshüter an der Annahme fest, dass der inländische Preisdruck mit der Zeit nachlassen wird, und zwar wegen des fortschreitenden Rückgangs der Gewinne und der Lohnstückkosten, der durch Produktivitätssteigerungen im Zuge des Wirtschaftswachstums begünstigt wird. Diese Annahme bleibt aber mit großer Unsicherheit behaftet. Schließlich könnten die Unternehmen im Zuge einer konjunkturellen Erholung wieder mehr Preissetzungsmacht erlangen, wohingegen die europäischen Unternehmen aufgrund der Produktivitätsverluste länger als erwartet vor Herausforderungen stehen könnten.

Autor

Konstantin Veit

Portfolio Manager, Leiter European Rates- und Short-Term Desks, CFA

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Obwohl die Kurse und Preise an den Märkten wieder vernünftiger erscheinen, ist es unwahrscheinlich, dass die Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank, die im Juni beginnen könnten, so aggressiv umgesetzt werden, wie es der Markt im Jahr 2024 erwartet.

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