Blog Eine Zinserhöhung, drei Hinweise und eine überraschende Zinssenkung Die jüngsten Signale der wichtigsten Zentralbanken legen nahe, dass es eine Herausforderung werden dürfte, die Geldpolitik angesichts der über dem Zielwert liegenden Inflation zu lockern.
Vergangene Woche sorgten fünf der weltweit größten Zentralbanken für Schlagzeilen. Während die Bank of Japan (BOJ) und die Schweizerische Nationalbank (SNB) entscheidende Kurswechsel in ihrer Geldpolitik vornahmen, gaben Vertreter der US-Notenbank Fed, der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Bank of England (BOE) vielsagende Hinweise auf ihren künftigen Zinspfad. Alles in allem lassen diese Schritte und Signale Einblicke in die künftige Geldpolitik zu – und insbesondere in die Herausforderungen, vor denen die Fed, die BOE und die EZB bei der Umsetzung und Kommunikation ihrer Maßnahmen stehen könnten, wenn sie mit der Senkung ihrer Leitzinsen beginnen, während die heimische Inflation in den Jahren 2024 und 2025 aller Erwartung nach über dem Zielwert verharrt. BOJ und SNB wagen den nächsten Schritt, nachdem ihre Hauptziele erreicht sind Der Beschluss der Bank of Japan vom 19. März, Abstand von ihrer Negativzinspolitik zu nehmen und die Zinsen erstmals seit 2007 anzuheben, wurde zwar allgemein erwartet, ist aber dennoch bemerkenswert. Er signalisiert die Zuversicht der Währungshüter, dass die außergewöhnliche Negativzinspolitik, die Zinskurvenkontrolle sowie die quantitative und qualitative Lockerung sie schlussendlich an ihr hoch gestecktes Ziel gebracht haben: die seit Langem herrschende Deflation in Japan aus dem Gleichgewicht zu bringen und eine Inflation von „Eins-Komma-Plus“ herzustellen – mit Inflationserwartungen, die fest im positiven Bereich verankert sind. (An dieser Stelle möchten wir darauf hinweisen, dass neben den politischen Maßnahmen der BOJ auch der postpandemische Inflationsschub und die deutlich von den anderen großen Regionen abweichende Zinspolitik eine wichtige Rolle darin gespielt haben, die japanische Wirtschaft wieder anzukurbeln. Mehr dazu erfahren Sie in unserem Blog-Beitrag mit dem Titel „Bank of Japan’s Policy Shift Ushers in a New Era for Investors“.) Die Entscheidung der Schweizerischen Nationalbank vom 21. März, ihren Leitzins um 25 Basispunkte zu senken, kam in Anbetracht der Markterwartungen eher überraschend. Gleichwohl bekräftigt dieser Schritt, dass die 2022 und 2023 zur Bekämpfung des postpandemischen Inflationsschubs vorgenommenen Zinserhöhungen nach Ansicht der Schweizer Währungshüter das Ziel erreicht haben, den Preisauftrieb wieder auf etwas unter zwei Prozent zu drücken. Unter dem Strich geschahen diese vergangene Woche vorgenommenen Kurswechsel der beiden Zentralbanken also in der Einschätzung, dass die zuvor beschlossenen Maßnahmen ihre langfristigen Ziele erreicht haben. EZB, Fed und BOE geben deutlichere Hinweise auf geplante Zinssenkungen Bei einer Rede in Frankfurt am 20. März bestätigte EZB-Präsidentin Christine Lagarde das, was sie in meinen Augen bereits in ihrer Pressekonferenz nach der Sitzung vom 7. März andeuten wollte: dass den europäischen Notenbankern bei ihrer Sitzung im Juni genügend Informationen vorliegen sollten, um über Zinssenkungen nachzudenken. (Mehr dazu in unserem Blog-Beitrag: „EZB: Nächster Halt Juni“.) Bemerkenswert war Lagardes Rede in der vergangenen Woche außerdem wegen ihrer umsichtigen und sorgfältigen Abhandlung dazu, wie die EZB ein Gleichgewicht herzustellen gedenkt – zwischen dem Risiko, potenzielle Zinssenkungen zu erwägen, während für das laufende sowie für einen Großteil des nächsten Jahres noch immer eine Inflation von mehr als den anvisierten zwei Prozent vorhergesagt wird (auch wenn die Teuerung in letzter Zeit nachgelassen hat), und dem Risiko, die Wirtschaftstätigkeit in einer Eurozone zu hemmen, in der das Wachstum verhalten bleiben dürfte. Die US-Notenbank Fed übermittelte nach ihrer Sitzung vom 20. März die klare Botschaft, dass in diesem Sommer mit einer Zinssenkung zu rechnen sei. Fed-Chef Jerome Powell trat auf der Pressekonferenz in einen lebhaften Dialog mit den Reportern und tat kund, dass es, wenn der Fed im weiteren Jahresverlauf weitere Informationen vorlägen, Sinn machen könnte, die Zinsen bis Dezember womöglich drei Mal zu senken – selbst wenn der Preisindex der persönlichen Konsumausgaben (PCE) zum Jahresende 2024 gemäß den Prognosen bei 2,6 Prozent liegen sollte. (Mehr dazu erfahren Sie in unserem Blog-Beitrag „Fed Readies for Rate Cuts: Back Toward Neutral, or Mid-Cycle Adjustment?“.) Nach einer eher ereignislosen Sitzung in der vorangegangenen Woche veröffentlichte BOE-Gouverneur Andrew Bailey am 22. März einen Meinungskommentar in der „Financial Times“, der im Großen und Ganzen die gleiche Botschaft hinsichtlich der künftig zu erwartenden Geldpolitik im Vereinigten Königreich vermittelte – und nahelegte, dass die Märkte zu Recht mit mehr als einer Zinssenkung in diesem Jahr rechneten. Den richtigen Weg finden: Zinssenkungen inmitten von Inflation Wenn die ersten Zinssenkungen tatsächlich noch in diesem Sommer anstehen, wie Lagarde, Powell und Bailey letzte Woche zu verstehen gegeben haben, werden die Notenbanker zu gegebener Zeit wohl nicht versuchen, ihre Kurswechsel damit zu rechtfertigen, dass sie sich mit einem vorläufigen Inflationsziel von „Zwei-Komma-Plus“ zufriedengeben. Stattdessen dürften sie bekräftigen, dass ihre Geldpolitik bereits restriktiv sei und schrittweise Zinssenkungen im Einklang mit der rückläufigen Inflation stünden und damit lediglich ein Mittel seien, um eine noch restriktivere Politik zu vermeiden – in der Erwartung, dass die Inflation im Lauf der Zeit auf das langfristige Ziel von zwei Prozent zurückgeht. Doch was geschieht, wenn die Inflation in diesen Staaten von den Prognosen abweicht und sich bei plausiblen 2,5 Prozent einpendelt? In diesem Szenario würden die Zentralbanker vermutlich eine Pause in ihrem Zinssenkungszyklus einlegen. Dennoch wären sie wohl überaus zurückhaltend, ihre Zinsen wieder zu erhöhen, und würden sich eher auf ihre vermeintliche Fähigkeit verlassen, (über kurz oder lang) glaubhaft eine Rückkehr der Inflation zur Zwei-Prozent-Marke zu prognostizieren, wenn sie nur lange genug an ihrer restriktiven Politik festhalten. Mit anderen Worten: Aus Sicht der Entscheidungsträger würden die Zinssätze in Relation zu den aktuellen Schätzungen des langfristig neutralen Niveaus (d. h. dem Leitzinsniveau, das das Wachstum weder behindert noch stimuliert) nicht deswegen erhöht bleiben, weil das neutrale Niveau gestiegen ist, sondern weil die Inflation vorübergehend bei „Zwei-Komma-Plus“ verharrt, zumindest bis zur nächsten Rezession – einer Rezession, die sie zu vermeiden suchen. „Opportunistische Disinflation“ gefällig? Bei dieser Strategie könnte ein Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage im Zuge einer künftigen Rezession dazu beitragen, die Inflation wieder zur Zielmarke zurückzubefördern. Allerdings hoffen die Zentralbanker, dass die Teuerung nicht zu tief verankert ist und ein ausreichend restriktives Zinsniveau dafür sorgen wird, sie wieder längerfristig auf zwei Prozent zu bringen, ohne dass es zu einer Rezession kommt.
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